Wintertag in der Natur

Es ist Donnerstag, der 18. Februar 2021. Aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen Situation wurde das Wintermodul für unsere Wildnis-Pädagogik-Fortbildung verschoben. Stattdessen habe ich nun die Aufgabe alleine raus zu gehen und mit der Natur in Kontakt zu sein. Ich freue mich darauf. Mit zahlreichen winterlichen Beobachtungs-Impulsen für mich und die Natur – Ruhe, Stille, Rückzug, Schutz und Überleben, Spuren, Aufbau und Zeichen für Resilienz – bin ich gut vorbereitet.

Mindestens sieben Stunden draußen. Das ist die Vorgabe. Nach meinen morgendlichen Vorbereitungen für den Tag schreitet die Zeit voran. Ich überlege, ob es nicht schon zu spät ist, loszugehen. Da ich vorher den Briefträger gehört hatte, beschließe ich zunächst einmal einen Schritt vor die Tür zum Briefkasten zu machen und hoffe dort auf Antworten.

Das ist die Antwort.

Spuren im Schnee… Es könnte passender kaum sein. Zusätzlich ein Kompass in einem Paket an mich. Eindeutige Zeichen: es geht los, heute noch. Zum Glück stand in den Hinweisen auch etwas zu Übergängen und wie wertvoll es sein kann, vor Tageslicht und/oder nach Tageslicht unterwegs zu sein. Ich lasse mich also darauf ein, dass es dunkel werden wird, bis ich zurück komme. Bis ich loskomme ist es 14:09 Uhr – das heißt ich werde bis um 21:09 Uhr draußen sein. Nun gut. Immer wieder im Laufe des Tages tauchen leise Stimmen in mir auf, die mir einen Vorwurf machen wollen, dass ich es nicht früher geschafft hätte. Gleichzeitig freue ich mich auf die Zeit des Übergangs und bin auch ein bisschen aufgeregt wie es wohl werden wird.

Los geht’s…

Ich gehe los und lasse mich inspirieren. Auch wenn ich im Hinterkopf den örtlichen Wasserfall als Ziel habe, lasse ich mich treiben, wohin der Weg und meine Aufmerksamkeit mich führen.

Ich sehe diesen umgeknickten Baum und frage mich, wodurch er wohl umgefallen ist. Zu wenig Wasser kann er nicht gehabt haben, denn er steht direkt am Bachlauf. Zu viel Wasser? Wohl eher nicht… Vielleicht einfach alt?

Umgeknickter Baum

Auch eine nähere Betrachtung bringt mich hier zunächst nicht weiter…

Umgeknickter Baum aus der Nähe

Ich gehe weiter und erfreue mich an einem großen kräftigen Baum. Auch wenn zu dieser Jahreszeit wenig Farben zu sehen sind, so fasziniert mich die feine Verästelung und die klare Struktur des Baumes, die ohne Blätter so deutlich sichtbar wird. Der Baum erfüllt mich mit großer Dankbarkeit für das Wunder des Lebens.

schöner kräftiger Baum

Weiter geht es am Bachlauf entlang. Ich bleibe für einen Moment stehen und genieße die treibende Kraft des Wassers, das unaufhörlich fließt. Ich denke an die Lebensenergie in mir und wünsche mir, dass ich mich an dieses Bild erinnere, wenn ich mich mal matt fühle. Danke Bach für diese Erinnerung, dass das Leben unaufhörlich weiter fließt.

Bachlauf

Während ich den Bachlauf entlang weiter gehe, lasse ich meine Blicke schweifen und merke, wie ich nach Grüntönen Ausschau halte – etwas Essbares, das ich aus meiner Wildkräuter-Ausbildung kenne. Immer wieder entdecke ich grünes Gras und Moos und sonst nur trübe Töne. Da leuchtet mich folgendes Kraut an. Ich kenne es nicht. Es sieht sehr kraftvoll aus und duftet herrlich. Ich vertraue meiner Intuition und wage einen Bissen. Lecker.

Wildkräuter

Während ich weiter gehe, denke ich darüber nach, dass viele Menschen sagen, dass wir nur Wildkräuter essen sollten, die wir kennen. Schließlich gibt es auch giftige Kräuter. Ich stelle mir vor, wie der erste Mensch herumging und noch kein Erfahrungswissen oder überliefertes Wissen hatte. Was war sein Maßstab? Seine Intuition vermutlich. Ich beschließe, weiterhin achtsam zu sein und gleichzeitig meiner Intuition zu vertrauen. Neulingen auf dem Gebiet würde ich das allerdings nicht empfehlen.

Bei der Ausschau nach Farben entdecke ich menschliche Spuren…

Müll für den nächsten Mülleimer

Ich packe das Teil ein und bestücke damit den nächsten Mülleimer.

Ein weiterer umgefallener Baum erweckt meine Aufmerksamkeit. Hier ist es eindeutig. Da war ein Biber am Werk oder mehrere Biber.

Biber-Baum

Die Spuren sehen noch recht frisch aus. Ganz schön krass eigentlich, wie so ein im Verhältnis kleines Tier einen ganzen Baum fällen kann.

Stück für Stück abgeschält

Ein paar Meter weiter sehe ich wie die Biber einen ganzen Staudamm gebaut haben. Ja, ein richtiges Bauwerk. Die Biber hinterlassen jedenfalls deutliche Spuren und sind mit ihren Eingriffen landschaftsgestaltend.

Biber-Staudamm

Dieser Baum sieht nach einem wunderbaren Kletterbaum aus. Die unteren Äste sehen schon sehr abgestorben aus, deshalb wage ich es nicht.

Kletterbaum

Und wieder haben die Biber zugeschlagen. Ein Baum nach dem nächsten haben sie hier gefällt.

Nächster Biber-Baum

Auch dieser Baum scheint relativ frisch „gefällt“. Die Farbe der Bruchstelle deutet darauf hin.

frisch „gefällter“ Biber-Baum

Oha, das waren definitiv keine Biber. Da steht doch tatsächlich ein Stuhl mitten in der Landschaft.

Stuhl

Ich liebe das Zoom-Objektiv meiner Kamera und nutze es, um mir diesen Stuhl genauer anzuschauen. Es sieht doch tatsächlich so aus, als sei dieser Stuhl aus dem Stamm heraus gesägt. Die Stuhlbeine sehen verbunden aus mit dem Stamm darunter. Beeindruckend. Warum hat hier jemand einen Stuhl gesägt? Einfach so? Aus Freude? Warum gerade ein Stuhl? Kunst? Was verbinden wir mit einem Stuhl? Hinsetzen, ausruhen. Gut, ich gehe weiter.

Ausgesägter Stuhl

Noch während ich über den Stuhl nachdenke, lädt mich wenige Meter später eine Bank zum Verteilen ein. Ich nehme dankend an.

Ruhebank

Während ich auf der Bank sitze, kommt ein älterer Herr des Weges. „Grüß Gott“ sagt er freundlich, während er bei mir vorbeigeht. „Hallo“ antworte ich ebenso freundlich. Der Klang seiner und meiner Worte hallt nach in mir. Wieviel mehr Tiefe scheint sich doch in seinem altmodisch gewordenen Gruß zu verbergen. „Grüß Gott“ – ich drehe die Worte in mir hin und her. Gott einen Gruß ausrichten? Grüße im Namen Gottes? Wie dieser Gruß wohl ursprünglich einmal lautete? Ich freue mich jedenfalls über die Erinnerung, das Göttliche in mir und der Natur zu sehen. Danke dafür.

Sonnenstrahlen genießen

Und weiter geht’s… Aha, dieser Baum hier steht noch – Fällungsarbeiten im Prozess… Ob die Biber wohl genau „berechnen“ wohin der Baum fällt und an welcher Stelle sie dafür nagen? Wahrscheinlich schon…

noch steht der Baum…

Hier finde ich ein Exemplar, das schon älter zu sein scheint. Die Nagestellen sind hier schon deutlich verblasster und auch unterhalb sind die Stückchen schon im Verrottungsprozess.

älterer Biber-Baum

Aus dem alten Stamm sprießen wieder neue Äste hervor. Ein stetiger Kreislauf von werden und vergehen.

neue Sprösslinge

Das hier sieht nach einem kleinen Massaker aus. Ich bin mir nicht sicher, ob das alles Biber oder doch auch Menschen waren.

Wilde Nager oder doch auch Menschen am Werk?

Sieht teilweise schon gesägt aus, so glatt wie die Stellen sind…

Gesägt oder genagt?

Dieser Baum scheint wohl einfach so aus Altersgründen umgefallen zu sein… Diese ganzen umgefallenen Bäume hier…

altersschwacher Baum?

Hier ist ein ganz gigantischer Fall mit riesen Wurzelwerk. Was hier wohl der Grund ist? Sturm? Es sieht auch ein bisschen magisch aus mit der Eisschicht um den Baum herum.

Ursache Sturm?
riesen Wurzelwerk

Oh, wie schön, eine rote Farbe zeigt sich. Hagebutten einer Wildrose vermute ich.

Lichtblick Farbe

Oh, es wird lebendig auf dem Bach – eine Schar Enten kommt herbei geschwommen.

Enten

Sieht schon ein bisschen ulkig aus, wenn sie kopfüber eintauchen.

Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh

Die männlichen Erpel leuchten hier schon deutlich strahlender hervor. Die weibliche Ente wirkt da deutlich unscheinbarer.

Erpel und Ente

Und da kommen noch mehr herbeigeschwommen… Enten-Party 🙂

Enten-Gemeinschaft

Schön, dass sich die Natur keine Gedanken über Corona und Abstandsregeln zu machen braucht… Für die Tiere und Pflanzen geht das Leben ganz normal weiter. Und uns Menschen tut es mal gut, einfach innezuhalten und die Natur zu beobachten. Danke dafür.

fröhliches Beisammensein

Das sind richtig viele Enten, die sich hier tummeln.

Enten am Bachlauf

Ein Kind kommt mit seinem Vater entgegen. „Papa, Papa, schau mal die Enten“, ruft es erfreut und möchte näher an den Bach. Der Vater nimmt es bei der Hand und zieht es weiter…

Später sehe ich ein anderes Kind mit seinem Vater im Bach. Die beiden stapfen mit Gummistiefeln am Ufer entlang und freuen sich über all das, was sie da entdecken.

Wenn ich die weibliche Ente in nah betrachte, finde ich sie auch richtig schön.

Schöne weibliche Ente

Wow, der Erpel kann ja ganz schön seinen Kopf verdrehen!

Kopf verdrehen

Ganz schön praktisch diese Beweglichkeit – da kann sich der Erpel gründlich reinigen.

gründliche Reinigung

Ein Pärchen setzt sich ab…

Entenpaar

Mal ist sie vorne und mal er…

Entenpaar

Hier ist noch eine dünne Eisschicht auf dem Wasser – die Ente hinterlässt Spuren.

Entenspuren auf dem Eis

Auch der Erpel hinterlässt deutliche Spuren – da scheint wohl ordentlich Körperwärme in den Tieren zu sein oder einfach durchs Gewicht…

Erpel-Spuren

Das spannende ist, dass die Spuren anschließend wieder verschwinden! Das Eis friert direkt wieder zu an den Stellen!

Spuren verschwinden

Raus und rein – schwimmen, laufen und fliegen können diese Tiere. Ganz schön vielseitige Bewegungsformen.

Übergang Wasser und Eis

Und hui, wieder rein ins Wasser.

hineingleiten ins Wasser

Die Unscheinbarkeit der weiblichen Enten hat auch etwas für sich. Das dient auch der Tarnung, Schutz und Verstecken. Wie viele Enten sind hier auf dem Bild? Ja, drei! Plus der Erpel.

drei versteckte Enten

So, dann gehe ich mal weiter.

Tschüss ihr lieben Enten, dankeschön!

Ich freue mich über die Begegnung mit den Enten. Ich bemerke, dass ich mich plötzlich energievoller und lebendiger fühle. Einfach nur durchs Beobachten und Teilhaben an deren Lebendigkeit. Danke.

Spuren im Schnee am Wegesrand und auch im Matsch auf dem Weg.

Spuren im Schnee

Zum Thema Schutz mache ich Rast in dieser Schutzhütte.

Rastplatz

Zumindest von oben bin ich hier geschützt – das hilft auch schon bei der Kälte.

schöne Dachkonstruktion

Ich betrachte das Dach etwas genauer. Sieht sehr solide und durchaus aufwendig gebaut aus. Danke an die Erbauer dieses Platzes.

Dachplatten

Im Hintergrund ist die alte Skipiste zu sehen. Der Schnee reicht noch aus zum Schlittenfahren wie ein paar Jugendliche später beweisen. Auch vom Kinder-Spielplatz auf der anderen Seite höre ich fröhliche Kinderschreie.

Rastplatz an der alten Skipiste

Ich wähle intuitiv einen Weg durch den Wald, den ich noch nie zuvor gegangen bin. Hier ist noch richtig viel Schnee. Da sind tiefe Spuren im Schnee.

tiefe Spuren im Schnee

Der Weg führt mich an diesen Ort. Hier hat jemand ordentlich Holzvorräte. Thema Kälte und Wärme. Da wird es mir ganz warm, wenn ich an den warmen Kachelofen drinnen denke.

Holzvorräte

Gegenüber des Hauses entdecke ich einen Brunnen und bleibe stehen. Ein alter Mann steht in der Tür und schaut mich fragend an. Er sieht nach einem richtigen Schwarzwälder Ureinwohner aus. „Ist das Trinkwasser?“, frage ich auf den Brunnen zeigend. „Ja, das kann man trinken.“ , antwortet er. „Danke“, sage ich freudig. Er geht zufrieden ins Haus und ich gehe zufrieden zum Brunnen und trinke eiskaltes herrlich schmeckendes Wasser. Schon lange hatte ich mir gewünscht, eine Quelle in diesem Ort zu finden. Was doch alles Schönes passiert, wenn ich einfach so draußen bin. Danke.

Ein schnuckeliges kleines Haus hat es mir angetan. Ich mag die Formen und Farben.

schnuckeliges Haus

Und ein netter kleiner Schuppen mit Moosdach und süßen Raben an dem Blumentopf.

nette Gestaltung

Ich gehe weiter in Richtung Wasserfall.

Richtung Falkauer Wasserfall

Eine große Verletzung und herauslaufendes Harz begegnet mir an diesem Baum. Ich liebe den Geruch von Harz und gehe ganz nah, um einige tiefe Atemzüge Harzduft einzuatmen. Danke.

Harzduft

Juhuuu, angekommen am Wasserfall. Beeindruckend, wie die Wassermassen tosend herunterdonnern. Hier ist noch einiges gefroren in diesem Schattenloch. Wunderschön.

Falkauer Wasserfall

Früher mal gab es hier eine Brücke über den Bach am Wasserfall. Nach einem Sturm wurde sie repariert. Als sie nach dem nächsten Sturm wieder kaputt war, hatten die Zuständigen keine Lust mehr und sie wurde abgerissen. Ich erwäge die Optionen doch noch über den Bach zu kommen. Entlang hangeln an diesem Baum?

Bachüberquerung?

Oder hier drüber balancieren? Sieht eher rutschig aus. Vielleicht wenn ich die Kamera nicht dabei hätte…

Bachüberquerung?

Ich entscheide mich für den gleichen Weg zurück und genieße noch einen Blick von unten auf den Wasserfall.

Falkauer Wasserfall

Während ich am Wasserfall stehe und das tosende Geräusch in meinen Ohren klingt, kommt mir die Idee, zu tönen. Hier kann ich aus voller Kehle meiner Stimme Raum verleihen. Ich öffne den Mund und lasse mich überraschen, was da aus mir heraus möchte. Ich töne laut und leise, hoch und tief, wohlig klingend und furchtbar krächzend. Alles darf sein. Und manchmal habe ich sogar das Gefühl gemeinsam mit dem Wasserfall zu singen. Danke.

Danke für die tosende Klanguntermalung

Ich freue mich, dass ich es gerade noch im Hellen zum Wasserfall geschafft habe. Jetzt wird es so langsam spannend mit der einsetzenden Dunkelheit.

Freude am Wasserfall

Die Lichter gehen an in den Häusern am Dorfrand.

einsetzende Dunkelheit

Der Mond geht auf und leuchtet mir den Weg.

Mondin

Eine dicke Fichte lädt mich ein, einen Moment zu verweilen. Dankbar lehne ich mich an den Stamm und betrachte den Mond. Hier fühle ich mich sicher. Wenn ich einen Schlafsack dabei hätte, würde ich hier mein Nachtlager errichten. Der Baum strahlt eine große Sicherheit für mich aus. Ich fühle mich geborgen. Ein bisschen kalt wird es mir, während ich da so sitze. Ich betrachte die Bäume um mich herum und frage mich, ob Bäume eigentlich auch Kälte und Wärme spüren. Ja, klar, sonst würden sie ja nicht die Blätter verlieren. Gut. Ob sie allerdings auch frieren? Also Kälte als unangenehm empfinden können? Ich frage den Baum, an den ich anlehne. Er schaut mich verdutzt an. „Was soll denn frieren sein?“ Ich überlege. „Wie fühlt sich das denn an?“, fragt er mich. Ich spüre in meinen Körper hinein und bemerke, dass ich mir das noch nie so genau überlegt habe, wie sich Kälte eigentlich anfühlt. Ein Schauer gleitet durch meinen Körper. „Das ist so ein Schauer, der mich durchströmt“, berichte ich dem Baum. „Aha, das klingt ja aufregend.“ Stimmt, wenn ich das so betrachte, ist es sogar ein schönes Gefühl. Ich bemerke auch, dass die Kälte in Wellen kommt. Immer wieder ein kleiner Schauer und dann ist sie scheinbar wieder weg. Interessant. Als ich darüber nachdenke, weiterzugehen, wird mir etwas unbehaglich zumute. Alleine im dunklen Wald. „Ich habe ein bisschen Angst“, gestehe ich dem Baum. „Angst, wie fühlt sich das denn an?“ Gute Frage, lieber Baum. Ich spüre in meinen Körper. Das Herz klopft ein bisschen schneller und es ist ein bisschen Druck im Kopf. Während ich dem Baum davon erzähle, verschwindet die Angst. Ich beschließe, den Baum gedanklich mitzunehmen, bedanke mich und gehe in die Nacht hinein.

Stärkende Begegnung mit dem Baum

Trotz Mond ist es recht dunkel im Wald und ich taste mich an den Waldrand. Ich laufe gegen einen Weidenzaun. Es scheint kein Strom drauf zu sein. Ich erwäge über den Zaun zu steigen und entscheide mich dann doch auf der Waldseite zu bleiben. Ich hangle mich an dem Drahtseil entlang. Lange Zeit geht es geradeaus und dann biegt der Zaun rechts ab und kurz drauf wieder links. Jetzt geht es richtig steil bergauf und ich kann das Drahtseil fast wie auf einem Klettersteig nutzen, um mich daran hochzuziehen. Für was so ein Weidezaun doch alles gut ist. So langsam wundere ich mich, wo eigentlich der Weg ist, den ich auf dem Hinweg gegangen bin. Die Strecke scheint mir jetzt in der Nacht viel weiter und ich kann auch die Lichter der Häuser nicht mehr sehen. Sachte hangle ich weiter am Zaun entlang und spüre, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Und da kann ich auch schon den Weg erblicken. Erleichtert setze ich mich an den Baum, der am Wegesrand steht und blicke auf den gegenüber liegenden Hügel mit den erleuchteten Häusern.

nächtliches Falkau

Mutig gehe ich weiter. Jetzt bin ich ein kurzes Stück auf der schmalen Straße. Einmal sehe ich einen Menschen an einem Haus, einmal kommt mir ein Auto entgegen. Der Baum hält mir stärkend den Rücken frei. Ich fühle mich sicher. Gleichzeitig bleibe ich wach und hellhörig, um mögliche Gefahren frühzeitig zu spüren.

die schmale Straße entlang

Die Straße ist hell erleuchtet von den Straßenlaternen. Ich blicke zum Mond und die Straßenlaterne scheint viel heller zu sein. Aber natürlich ist der Mond viel heller, er ist nur weiter entfernt.

hell erleuchtet

Ich gehe den gleichen Weg zurück und erinnere mich an all die schönen Momente vom Hinweg. An die spielenden Kinder, an die Enten, an den Herrn mit dem „Grüß Gott“, an die Spuren der Biber und so viel mehr.

Mir fällt jetzt in der Nacht jeder einzelne Strommasten auf. Die waren mir bei Tage gar nicht aufgefallen. Sie wirken jetzt so riesig groß, fast schon bedrohlich.

Strommasten

Immer wenn ich kurz einen Moment von Unsicherheit verspüre, obwohl ich um mich herum keine Gefahr erkennen kann, denke ich an den Baum in meinem Rücken. Mittlerweile hat er sogar noch seine Freunde eingeladen, die einen Kreis um mich bilden und mich begleiten. Beschützt und behütet gehe ich so den nächtlichen Weg am Bachufer entlang.

Gute Nacht

Auf einer Bank halte ich noch einmal inne und bemerke, dass ich gerade immer wieder auf die Uhr schaue, um nicht zu früh Zuhause zu sein. Witzig, normalerweise ist es meist andersherum und es geht darum, nicht zu spät zu kommen. Mir fällt auf, dass es gar keinen Sinn macht, sich zu eilen. Sonst stehe ich ja irgendwann ganz abgehetzt am Himmelstor und dann? Ja, plötzlich wird mir klar, wie lebenswert das Leben ist, wenn wir langsam gehen. Der Weg zum Wasserfall hin und zurück ist an sich nicht lange und heute habe ich mir richtig viel Zeit dafür genommen und rechts und links sooo vieles entdeckt. Ich habe das Gefühl, den Tag heute so richtig gelebt zu haben. Ich werde die Erlebnisse in meinem Herzen tragen und immer wieder daran denken. Die Begegnungen mit mir selbst und den Wesen um mich herum haben mich gestärkt. Danke, einfach Danke.